Die Macht der Düfte

Aufnahme eines Stücks Seife und eines kleinen Fläschchens.

Riechen wird völlig unterschätzt. Dabei hat es eine große Wirkung auf unser Leben. Der Geruchssinn nimmt Einfluss auf unser Denken und Handeln. Warum wir unserer Nase öfter trauen sollten und wie wir im Alltag eine Nasenlänge voraus sind.

Es ist kurios: Als wir Menschen noch Jäger und Sammler waren, also den Tieren noch viel näher standen, war der Geruchssinn überlebenswichtig. Er half Freund von Feind zu unterscheiden und trug entscheidend dazu bei etwas Essbares aufzuspüren. Heute ist das Thema Riechen problematisch belegt. Phrasen wie „Jemanden nicht riechen können“ oder „Jemand soll verduften“ zeigen, dass die negativen ­Assoziationen beim Thema Geruch überwiegen. 

Auch das Vertrauen in den eigenen Körpergeruch scheint nicht allzu groß, betrachtet man den schier unendlichen Markt parfümierter Pflegeprodukte. Der Wunsch nach Individualität und Abgrenzung spielt dabei ebenso eine Rolle. Doch wie kam es eigentlich dazu? Eine Antwort darauf liegt im Europa des 18. Jahrhunderts verborgen. Der Weltbestseller „Das Parfum“ von Autor Patrick Süskind, in dem ein geruchsbegabter Sonderling buchstäblich für den perfekten Duft mordet, beschreibt die damalige Gesellschaft eindrucksvoll: Der Roman spielt in Paris im Jahre 1738, der, wie es heißt, „Hauptstadt des Gestanks“. Damals begann die Gesellschaft sich zu teilen. Die Oberschicht nahm für sich in Anspruch zivilisiert zu sein, also ganz anders als das wilde ungewaschene Gesindel, das die von üblen Gerüchen durchzogenen Straßen bevölkerte. Auch war es das Zeitalter verheerender Krankheiten wie der Pest, die den Körpergeruch der Betroffenen in eine faulige Wolke verwandelte. Körpergerüche waren verpönt. Und man versuchte sie zu überdecken. Das Geschäft mit Parfüm boomte. Und die Wissenschaft ließ den Geruchssinn des Menschen links liegen. Der französische Neuroanatom Paul Broca stellte im Jahre 1879 fest, dass das menschliche Riechzentrum im Verhältnis zur Größe des Gehirns kleiner sei als bei Tieren, die besonders gut riechen können. Und da sich der Mensch damals nur zu gerne vom Tier abgrenzte, galt das bereits als zufriedenstellende Antwort.

Riechen Senioren tatsächlich unangenehm?

Fakt ist: Die menschliche Nase und ihre Fähigkeiten wurden lange Zeit nicht erforscht. Erst seit Kurzem weiß man, dass die Größe des Riechzentrums nichts darüber aussagt, wie viele Nervenzellen dort angesiedelt sind. Genauso glaubte man früher, der Mensch sei in der Lage nur etwa 10.000 Gerüche wahrzunehmen. Heute gehen Wissenschaftler davon aus, dass der Mensch eine Billion Gerüche erkennen kann. 

Derzeit befasst sich die Wissenschaft intensiv mit der Frage: Welche biologischen und sozialen Informationen enthält der Körpergeruch? Und wie verändert sich der Geruch im Alter? Hierzu haben die Forscher des Monell Chemical Senses Center in Philadelphia eine Studie durchgeführt und sind dabei einem Klischee auf die Schliche gekommen. Für ihre Untersuchung haben die Forscher Gerüche von Personen in drei Altersklassen genommen: jung (20 bis 30 Jahre), mittelalt (45 bis 55 Jahre) und alt (75 bis 95 Jahre). Diese Duftproben wurden Schnupper-Probanden gegeben, die den Geruch einer dieser drei Altersgruppen zuordnen sollten. Das erstaunliche Ergebnis: Die breite Mehrheit konnte den Körpergeruch der Altersgruppe „Alt“ eindeutig zuordnen. Etwas anderes erstaunte noch mehr: Der Geruch der älteren Personen wurde im Vergleich zu den Proben der jungen und mittelalten Menschen als am angenehmsten und wenigsten intensiv beschrieben. Die Forscher glauben, dass der Kontext des Riechens entscheidend ist. Hätten die Testriecher gewusst, dass sie den Geruch von alten Menschen aufnehmen, wäre das Ergebnis wohl anders ausgefallen. So aber zeigt das Ergebnis: Ja, rein biologisch ist es so, dass ältere Menschen aus verschiedensten Gründen anders riechen als jüngere. Das pauschale Urteil aber, sie würden „schlecht“ riechen, ist falsch. 

Die Kraft der Gerüche im Alltag nutzen

Sowohl die Historie als auch die Wissenschaft zeigen: Gerüche sind immer anwesend. Sie beschäftigen uns, weil wir uns ihnen nicht entziehen können. Und sie haben enorme Wirkung. Das zentrale Leitmotiv der Wirkung von Gerüchen – egal ob 18. Jahrhundert oder heute – ist eindeutig: Wohlfühlen. Gerüche bestimmen, ob wir eine Situation als angenehm oder unangenehm empfinden, ob wir bleiben oder lieber schnell gehen wollen, ob wir uns öffnen oder verschließen, ob wir gut oder schlecht gelaunt sind. Deshalb haben Gerüche so eine Macht über den Alltag. Und deshalb sollte man das Wissen um die Wirkung von Gerüchen nutzen, gerade in Kontexten, in denen wir mit Menschen arbeiten. Düfte können Lebensqualität bedeuten; die Laune heben; ein persönliches Gespräch oder eine Verhandlung positiv beeinflussen. Im Kontext der Pflege von Menschen bekommt man ein Gefühl dafür, wie wichtig es ist, Kleidung, Handtücher und Bettzeug regelmäßig zu reinigen und auch über den Duft, den diese Alltagsgegenstände verströmen, nachzudenken. Jemandem bei der täglichen Hygiene zu helfen hat natürlich viel mit Respekt zu tun. Auch die Pflegebedürftigen haben – wie wir alle – das Bedürfnis nicht unangenehm zu riechen. Und freuen sich, wenn anregende Düfte in der Umgebung positiv stimulieren. 

Auch jeder Einzelne ist gefragt, im Job auf sich und seine Umgebung zu achten und zu fragen: Leiste ich meinen Beitrag dazu, dass in der täglichen Interaktion mit mir eine angenehme Atmosphäre herrscht? Ebenso sollte man sich im Privatleben auf Geruchserlebnisse einlassen: etwa den intensiven Duft einer Speise, der Blumen im Garten oder den Geruch des Partners aufnehmen, genießen und in sich einschließen. All diese Eindrücke sind wahre Schätze. Und in diesem Sinne ist jeder Tag wie dafür gemacht, sich eine goldene Nase zu verdienen.